KOLUMNE – erschienen in „neues deutschland” am 03.08.2015

Die Wirtschaftsverbände werben für mehr Toleranz gegenüber Geflüchteten, weil sie einen Fachkräftemangel beklagen und händeringend Arbeitskräfte benötigen, meint Wolfgang Storz

Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat bereits vor Wochen regierungsamtlich bestätigt, das Meinungsspektrum in dieser Republik sei erschreckend eng geworden. In einer Rede auf einem Journalistenkongress führte der Außenminister aus: »Es gibt eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen, wenn sie Informationen gewichten und einordnen. Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint mir ziemlich hoch. Das Meinungsspektrum draußen im Lande ist oft erheblich breiter.« Nun ist allerdings auch »draußen im Lande« und »drinnen in Berlin« bei der großen Politik festzustellen, das Spektrum der zugelassenen Meinungen ist nicht gerade überbordend breit. Wer eindeutig für Europa ist, aber sagt, ich bin gegen den Euro, denn der ist kein Wert an sich und kein Ziel, sondern als Währung nur ein Instrument, um ein Ziel zu erreichen, und ich finde, er schadet als Instrument dem Ziel (Europa einen) mehr als dass er nützt – der gerät schnell in »Verschiss«: Europafeind und Rückwärtsgewandter lautet das softe Verdikt, eigentlich ist der ein Nationalist.

Und schneller, als er schauen kann, ist ein Islamfeind, wer für einen strikt säkularen Staat plädiert und meint, die Grenzen müssten noch schärfer gezogen werden – beispielsweise keinen Kirchensteuereinzug via Staat, keine Finanzierung der Kirchenapparate mit Steuergeldern fordert. Und wer argumentiert, dass nun, da der Islam ebenso selbstverständlich wie die christlichen Religionen zu Deutschland gehöre, die Gefahr wachse, dass sich die Fundamentalisten dieser Religionen verbündeten, um ihren jeweils rückschrittlichen Lebensformen mehr Einfluss zu verschaffen, dass sich die »Gläubigen« mit dem Ziel zusammenschließen, um generell mehr Einfluss auf den Staat und die öffentliche Politik zu bekommen.

Und nun haben wir seit einigen Monaten die Situation, dass zwar vor Ort Aggressionen gegen Geflüchtete aus Kriegsgebieten und vor allem gegen die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge zunehmen, dass jedoch allgemein die öffentliche Stimmung auch gegenüber den »Wirtschaftsflüchtlingen« ziemlich positiv ist; ein Fortschritt zu den 1990er Jahren. Eine der wesentlichen Ursachen für diese Wende: Die Unternehmen und ihre Wirtschaftsverbände werben für eine gute tolerante Stimmung, weil sie heute händeringend Arbeitskräfte brauchen und einen Fachkräftemangel beklagen, den sie nun auch mit jungen, eventuell schon ausgebildeten Balkan-Flüchtlingen beheben wollen. Das ist gut. Nun ist die Frage, ob die folgenden Hinweise den Tatbestand der Flüchtlingsfeindlichkeit und des Nationalismus erfüllen.

Es gibt, nach Analysen der Bundesagentur für Arbeit, keinen Facharbeitermangel, sondern in bestimmten Branchen lediglich Engpässe. Und diese Engpässe gibt es, weil im Durchschnitt nur noch jeder fünfte Betrieb ausbildet. Die Zahl der Unternehmen, die noch bereit sind, Hauptschüler als Auszubildende zu nehmen, die ist noch einmal beschämend niedriger. So passt die Flüchtlingswelle genau zum Interesse der Unternehmen: Sie suchen sich unter den Flüchtlingen die Besten, die möglichst Leistungsfähigen und für geringes Entgelt Leistungsbereiten heraus und bekommen so ihre billigen guten Arbeitskräfte. Ohne mehr ausbilden zu müssen und ohne auch nur einen in Deutschland lebenden Jugendlichen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, nehmen zu müssen, der die Hauptschule vielleicht nur mit Ach und Krach geschafft hat und der deshalb während der Ausbildung eben Mühe und Zeit kosten würde; der fällt weiter hinten runter.

Diese Hinweise, die klingen doch verdächtig nationalistisch. Sollen jetzt etwa die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge erst dann eine Ausbildung und Arbeit erhalten, wenn alle versorgt sind, die bereits hier leben? Das ist doch pure Flüchtlingsfeindlichkeit!

Was die Hinweise belegen sollen: Zumindest ist die Herausforderung auf den zweiten Blick komplizierter, als sie auf den ersten scheint. Sie könnte in etwa so formuliert werden: Wie wird Flüchtlingen gut geholfen, ohne sich von der rücksichtslos ausbildungsunwilligen deutschen Unternehmerschaft über den Tisch ziehen lassen und ohne ausgerechnet hier bereits lebende und nicht so leistungsfähige Jugendliche unter den Tisch fallen zu lassen? Einverstanden?