erschienen in „WOZ” am 06.06.2013
Bei allem Armuts- und Reichtumsgeschwätz: Die Reichtumsforschung ist immer noch weitgehend tabuisiert – vor allem in Deutschland. Der Soziologe Hans-Jürgen Krysmanski macht nun eine Ausnahme.
Hans-Jürgen Krysmanski
0,1 Prozent. Das Imperium der Milliardäre
Frankfurt am Main 2012
Von der Occupy-Bewegung ist nur noch selten etwas zu sehen, aber in Deutschland erklingen, wenige Monate vor den Bundestagswahlen, zunehmend Wahlkampfschlachtrufe: Die soziale Kluft sei eindeutig zu tief, dagegen müsse etwas unternommen werden.
Befeuert wurde diese Debatte vom vierten Armuts- und Reichtumsbericht, den die konservativ-liberale Bundesregierung im März unter dem Titel «Lebenslagen in Deutschland » vorgelegt hat. Der regierungsamtliche Befund: eine ständig wachsende Ungleichheit der Vermögen, eine drastische, aber momentan nicht zunehmende Ungleichheit bei den Einkommen.
Zusätzliche Aufmerksamkeit erhielt dieser Bericht, weil vor allem die FDP versuchte, den in ihren Augen hässlichen Bericht mit Produkten aus ihrem Kosmetikkoffer aufzuhübschen. So jubelte Philipp Rösler, FDP-Wirtschaftsminister und Vizekanzler: «Der Bericht zeigt: Deutschland ging es noch nie so gut wie heute.»
Von Davos bis zum Empire
Der Soziologe Hans-Jürgen Krysmanski belegt nun in einem Buch, wem es tatsächlich noch nie so gut wie heute ging: den Reichen und Superreichen. Krysmanski, seit 2001 emeritiert, hat sich immer wieder mit dem Thema «Reichtum und Reichtumsforschung» beschäftigt. Es ist verdienstvoll, dass er dieses Buch überhaupt geschrieben hat. Es ist an Diskussionen in der Öffentlichkeit nachzuvollziehen, wie «undankbar» gerade dieses Thema ist: Es wird zwar viel und faktenreich über Armut und soziale Klüfte gesprochen, selten aber über Reichtum und Reiche. Die Gründe sind vielfältig: Reichtum eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, einerseits kritisches Wissen über ihn unzugänglich zu machen, andererseits können Reiche als Mäzene, Sponsorinnen oder via eigene Stiftungen mit leichter Hand eine positive Berichterstattung mobilisieren. Dieses Problem haben JournalistInnen ebenso wie Steuerbehörden, aber auch WissenschaftlerInnen.
Vielleicht sind diese Probleme der Recherche und der Zugänge der Grund dafür, dass der Autor einen sehr weiten Blick auf das Thema wirft. So bekommt man einen Überblick über alle möglichen Facetten: Die eine mag es als sehr anregend und abwechslungsreich empfinden, der andere verliert sich vielleicht zwischen der Davos-Klasse, der Nomadisierung, der Definition von Eliten, zwischen persönlichen Erlebnissen und wissenschaftlichen Analysen, anregenden Behauptungen, Thesen und Fakten, dem Empire und der Biopolitik. Hans-Jürgen Krysmanski begründet die Vielfalt seiner tausend Aspekte so: Eine Begrenzung auf Deutschland sei nicht sinnvoll, «denn diese Schicht der Superreichen (…) ist ein kosmopolitisches Phänomen».
Erscheinungen der Plutokratie
Ein entscheidendes Element von Reichtum schimmert immer wieder durch: die Macht des Reichtums. Offensichtlich wird sie für so selbstverständlich gehalten («Geld regiert die Welt»), dass sich niemand so richtig damit beschäftigt.
In der deutschen Öffentlichkeit ist diese Macht des Reichtums ständig präsent: in der recht harmlos daherkommenden Formulierung, Geld und vor allem Kapital verhielten sich eben wie ein «scheues Reh», sie blieben also nur im Land, wenn alles nach ihrem Willen geschehe. Aber zu einem Thema wird es deshalb nicht. Krysmanski schildert auch seine Eindrücke, die nahelegen, dass selbst seine KollegInnen aus der Wissenschaft, nicht nur die SoziologInnen, das Thema meiden: «Wer aber beobachtet die wirklichen Oberschichten?» Hans-Jürgen Krysmanski bleibt dran: an den Erscheinungen der Plutokratie, der eigenen Welt der Geldeliten, der Einflussnahme auf Wissen und politische Prozesse via zahllose Stiftungen und Thinktanks.
Wenn es nach dem Autor geht, dann findet das Buch kein Ende: Es sei «Teil eines offenen Projekts, keine abgeschlossene Analyse oder gar ein fertiges Theoriestück. Es soll anregen, sich weiter mit diesem Thema zu beschäftigen – auch im Internet.»