KOLUMNE – erschienen in „neues deutschland” am 19.06.2015

Wolfgang Storz über die deutsche Solidarität mit Griechenland – und was die SYRIZA-Regierung endlich tun müsste

Tom Strohschneider, der Chefredakteur dieser Zeitung, die mir gelegentlich 4200 Zeichen Platz überlässt, schrieb jüngst über das neue Grundsatzprogramm der SPD, das deren Vorsitzender Sigmar Gabriel in dem Satz zusammenfasste: Wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen. Strohschneider kommentierte: »Denn was bei aller Diffamierung von SYRIZA-Politikern, vor lauter neoliberalen Sprach- Rastern … welche die Wahlentscheidung der Griechen nicht zu respektieren gedenkt – was bei all dem doch noch überrascht: dass die SPD es schafft, die Union und deren Claqueure rechts zu überholen.«

Gut gebrüllt, Löwe.
Wenn die SYRIZA-Regierung angegriffen wird, dann werfen sich vom Chefredakteur, dem jetzigen bis zu den künftigen Linksfraktionsvorsitzenden alle Fortschrittsgesinnten bedingungslos schützend vor die Athener Regierung. Denn die ist links, weshalb sie nicht nur vom Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank, sondern auch von der EU-Kommission und der Merkel-Regierung in die Knie gezwungen werden soll – so der Verdacht.

Dieses Dazwischenwerfen, das kann sinnvoll und richtig sein. Aber: Auch der sehr interessierte und sympathisierende Laie kann nur noch glauben. Sich selbst ein Bild machen, das ist so gut wie unmöglich geworden – trotz aller Kundigen, die helfen, die Irrtümer der veröffentlichten Meinung zu korrigieren; wie beispielsweise Medienkritiker wie Stefan Niggemeier oder Publikationen wie »Faktencheck: Hellas«. Zu diffus und zu komplex. Der Informationsboden ist sumpfig geworden. Gehen jetzt alle Beschäftigten in Griechenland im Durchschnitt mit 56 Jahren in Rente – oder doch »nur« die des öffentlichen Dienstes? Und was heißt dann »nur«?

Trotz Solidarität, viel Verständnis und einer grundsätzlichen Kritik an den Markt- und Wettbewerbsradikalen, angeführt von dem Juristen Wolfgang Schäuble (CDU): Die Fragen häufen sich – die in Richtung Athen. Die Athener Regierung gilt hier als links. Die Linkspartei hat ihr das sogar offiziell bescheinigt: Links. Das ist prima, das ist eindeutig, daran kann man sich festhalten. Weniger gut: Gleich zu Beginn musste gelernt werden, die linke Regierung koaliert mit Rechtsradikalen und lässt nur Männer ins Kabinett. Längst verdaut, aber hoffentlich nicht vergessen.

Wie ging es seither weiter? Leider nicht so:
Erste Maßnahme: die stark überdurchschnittlichen Militärausgaben werden drastisch gesenkt; die Beschlüsse sind bereits vom Parlament verabschiedet. Nach Angaben des Friedensforschungsinstitutes SIPRI hat Griechenland noch im vergangenen Jahr rund vier Milliarden Euro allein für Rüstung ausgegeben, das entspricht 2,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit übertrifft das Land deutlich die Anforderungen, ist also mehr als ein NATO-Musterknabe. »Griechische Hochrüstung«, so Werner Rügemer in »Faktencheck: Hellas«. Die Linksregierung, die das nicht zu verantworten hat, macht damit energisch Schluss. Endlich. Zweite Maßnahme: Die griechische Regierung steht kurz davor, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen, um endlich den Kapitalabfluss zu stoppen. Dritte Maßnahme: Auf Luxusgüter wird eine besondere Steuer erhoben. Vierte Maßnahme: Die Verhandlungen mit der Schweiz und anderen Staaten, um via Abkommen an die Schwarzgelder der reichen Griechen heranzukommen, stehen kurz vor dem Abschluss. Fünfte Maßnahme: Der Regierungsapparat arbeitet mit Hochdruck an Gesetzen, mit denen erst die Privilegien der Reeder abgeschafft und dann die Unternehmen in öffentliches Eigentum überführt werden sollen. Sechste Maßnahme: Finanzminister Yanis Varoufakis bedauert zutiefst seine jüngste Äußerung, Steuererhöhungen nützten nichts, der griechische Staat sei sowieso nicht in der Lage, die Steuern einzuziehen. Sein überraschender Kurswechsel: Er will etwas tun und nimmt deshalb unverzüglich das Angebot der EU-Kommission an. Diese stellt hunderte Experten in Sachen Steuerfahndung und Steuerverwaltung aus verschiedenen EU-Ländern mit modernsten Techniken zur Verfügung, um endlich zu beginnen, eine Steuerverwaltung aufzubauen, um vor allem aber sofort die Steuerschulden der griechischen Millionäre und Milliardäre mit einer Taskforce einzutreiben.

Wenn die Regierung von Alexis Tsipras das alles ohne viele Worte seit fünf Monaten entschieden anpackte – ja, das wäre links.