DEBATTE – erschienen in „neues deutschland” am 04/05.04.2015
Wolfgang Storz über die Frage, wer endlich etwas tun könnte, um das Thema Reeder-Enteignen in Griechenland auf die Tagesordnung zu setzen
Ingrid Kurz-Scherf, feministische Marxistin an der Universität Marburg, staunte jüngst anlässlich einer Diskussion: Warum denn niemand das Naheliegende fordere – die griechischen Reeder zu enteignen und ihre Unternehmen von einem im öffentlichen Interesse arbeitenden Management effektiv führen zu lassen.
Keine Angst: Wer dies forderte, der müsste sich nicht als radikaler Linker outen, sondern lediglich des Verdachtes aussetzen, er sei ein wirtschaftlich vernünftig denkender europäischer Bürger, der das deutsche Grundgesetz noch kennt. Für die Jüngeren unter uns: Das ist ein heute altertümlich anmutendes Dokument, das im wirklichen Leben keine Rolle mehr spielt, weil in ihm Sätze stehen, die so unwirklich wie dieser klingen: »Eigentum verpflichtet«. Das Grundgesetz anerkennt das Institut des Privateigentums und die Freiheit, über es zu verfügen. Aber: Dieser Gebrauch dürfe im schlechtesten Fall dem Gemeinwohl nicht widersprechen, in der Regel müsse er ihm zugutekommen. Deshalb Grundgesetz, Artikel 14, Abs. 2: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.«
Nun steht fest: Die Branche der Reeder (15 Prozent der weltweiten Handelsflotte) und weitere 2000 griechische Familien – die sich, heißt es, etwa 80 Prozent des Volksvermögens unter den Nagel gerissen haben – kaperten mit tatkräftiger Unterstützung der Parteifamilien Pasok und Nea Dimokratia, Schwesterparteien von SPD und CDU/CSU, das Land und plündern es bis heute aus; inbegriffen der Verelendung von Teilen der Bevölkerung.
Die deutsche Regierung exportiert gerne ihre Politik. Sie könnte ihre Strategie des Totsparens mal austauschen gegen das Rezept des Reeder- Enteignens. Das macht sie natürlich nicht. Merkwürdigerweise scheinen auch Regierungskreise in Athen viel lieber auf die nationale Karte zu setzen, wonach die Deutschen an allem schuld sind – so wird Politik eben, wenn sie mit Rechtsradikalen zusammen betrieben wird, statt mit aller Kraft und Energie gegen die mächtigen Reichen im eigenen Land vorzugehen und dafür die Hilfe der EU-Regierungen offensiv einzuklagen.
Wir haben doch alle Interesse daran, diesen Blutsauger-Familien – machte »Bild« eine Kampagne gegen griechische Reiche, wäre dieses Koppel- Wort heißer Kandidat für die Headline – das Handwerk zu legen: Mit den EU-Rettungspaketen werden die aus der Verantwortung entlassen, und mit ihren Milliarden-Vermögen kaufen sie sich nicht nur in EU-Großstädten auf den Immobilienmärkten ein und treiben Mieten in die Höhe, sondern liefern zudem Treibstoff für spekulative Finanzmärkte.
Also gute Gründe en masse.
Können unsere Medien die Lücke beim Thema Reeder-Enteignen nicht schließen? Leider, leider: Nein. Sie müssen leider absagen, mussten sie doch in diesen Monaten gleich zwei Irrflüge antreten, von denen niemand weiß, wie lange sie dauern werden. Robert Misik, kundiger politischer Publizist, diagnostiziert seit geraumer Zeit einen »abstoßenden Kampagnenjournalismus der nahezu gesamten deutschen Publizistik« in Sachen Griechenland. Den zweiten Irrflug mussten die deutschen Medien Anfang vergangener Woche überraschend antreten. 25 Redakteure beim »Spiegel« arbeiteten bis zur Erschöpfung an dem Titel »Der Amokflug«, ein Team von immerhin vier »FAZ«- Redakteuren lüftete in bundeskreuzverdienstvoller Recherchearbeit »Das tödliche Geheimnis des Andreas L.« und so weiter. Jetzt sind alle erst einmal erschöpft, vergleichbar wie nach den einjährigen Anstrengungen, den absolut korruptionsfreien Christian Wulff zu erlegen. Verständlich, dass da keine Kapazitäten für die Titelgeschichte »Blutsauger-Familien plündern Volk aus« übrig bleiben.
Wer könnte also was tun, um das Thema Reeder-Enteignen auf die Tagesordnung zu setzen? Denn damit würden endlich die Bandbreiten öffentlich zugelassener Meinungen wieder etwas gedehnt werden; die sind ja arg zusammengeschrumpft. Ob die Rosa-Luxemburg-Stiftung einen ersten Schritt gehen könnte? Die publiziert oft so anschauliche kompakte Broschüren. Vielleicht als nächstes einen Ratgeber »Grundgesetz konkret: Enteignen leicht gemacht« – so aufbereitet, dass es auch ein eindimensional auf Totsparen gedrillter Jurist wie Wolfgang Schäuble versteht.