KOLUMNE – erschienen in „neues deutschland” am 06.03.2015
Wolfgang Storz warnt davor, der Tsipras-Regierung allein den Kampf gegen die EU-Austeritätspolitik zu überlassen
Spitzenpolitiker wissen sehr viel mehr als Sie und ich. Die haben Einblicke, ohne Ende. Geht es um Griechenland, gilt dies sogar für die Links-Politiker, obwohl die »nur« in der Opposition sind. Jüngst war zu lesen, die Herren Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis simsten vertraulich der Bundestagsfraktion: Bitte Schäuble-Antrag zustimmen! So kann Gregor Gysi auch nur wegen dieser besten Kontakte wissen, wg. der Regierung Tsipras habe sich sogar der »Zeitgeist« gedreht, es gebe für Schäuble und Co. »kein Weiter- So«, alle »gescheitert«. Aha.
Das kann Gysi wirklich nur von Tsipras wissen. Der muss ihm persönlich die vier Asse gezeigt haben, die er noch im Ärmel hat, um das Blatt wenden. Denn in den Parlamenten, Zeitungen und im Fernsehen ist von diesem anderen Zeitgeist so gut wie nichts zu sehen. Mein Lektüreeindruck: Tsipras und Varoufakis, das sind politisch arme Schw…! Die Korruption bekämpfen, in einer ausgeklügelten Klientelgesellschaft, mit einem ruinierten Steuer- und Staatsapparat – viel Spaß! Steuern eintreiben, Reiche besteuern – das Geld ist doch schon auf Auslandskonten.
Sicher ist: Der »zweite Souverän« (EZB, »die Märkte«, Hedgefonds, Banken) wird, treiben es Tsipras und Co. zu bunt, die Griechen am ausgestreckten Arm verhungern lassen; viel braucht es ja nicht mehr. Erinnern wir uns: Das Elend begann Ende der 80er Jahre mit der Einheitlichen Europäischen Akte: Damals wurde die Reisefreiheit eingeführt, toll. Aber auch das Kapital braucht seither keinen Pass mehr. Alle Kapitalverkehrskontrollen wurden abgeschafft. Deshalb müssen die Staaten um das Kapital buhlen, dürfen es nicht »erschrecken«.
Was soll dagegen ausgerechnet die Regierung eines Landes ausrichten, das so arm und dessen Staatsapparat so verrottet ist?
Aber genau die wird mit Erwartungen zugeschüttet: Ausgerechnet die soll jetzt für uns alle auch noch die Wende im Kampf gegen europaweite Streichorgien bringen.
Noch eine kurze Erinnerung: Bundestagswahlkampf 2013. Alle wussten, was Hans Ulrich Wehler, (jüngst gestorbener) Sozialhistoriker, aussprach: »Die deutschen Reichen waren noch nie so reich wie in der unmittelbaren Gegenwart.« So machten sich Sozialdemokraten, Grüne und LINKE daran, die Reichen wenigstens ein klitzekleines bisschen höher zu besteuern. Wo endete das? Im Fiasko. Unter besten organisatorischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen scheiterten diese drei Parteien an der stummen Macht der Reichen grandios. Aber die Griechen unter Tsipras als Speerspitze und Varoufakis als Prellbock, die werden jetzt die Reichenburg für sich und damit uns knacken. Absurd.
Der neue Zeitgeist-Optimismus ist ja verständlich, wer will schon Fatalist sein. Aber muss man darüber gleich naiv werden? Trotzdem tapfer die Frage gestellt: Wie der Tsipras- Regierung helfen, ihren aussichtslosen Kampf zu gewinnen? Indem alle Politiker und Medien nicht länger abstrakt-verharmlosend von Austeritätspolitik sprechen und berichten, sondern von dem einen Familienvater XY erzählen, der 2008 noch so viel verdiente und heute mehr als ein Drittel weniger, bei steigenden Kosten.
Indem sie konkret beschreiben, wie es in Deutschland aussähe mit einem Viertel Wirtschaftskraft weniger – ich habe davon kein Bild im Kopf. Ohne diese anderen Bilder in den Köpfen wird niemand den neuen, von Gysi entdeckten Zeitgeist hereinlassen.
Was könnte man noch tun? Die Pressemitteilungen der linken Bundestagsfraktion von unten nach oben kehren. Beispielsweise die vom 24. Februar 2015 mit dem Titel »Griechenland zeigt Ausweg aus Kürzungs- und Verarmungslogik«. Da steht der wichtigste, da konkrete Satz ganz am Ende: Griechenland müsse geholfen werden, »indem Auslandskonten von Griechen mit Kontoständen von mehr als 200 000 Euro eingefroren und dem griechischen Fiskus gemeldet werden«. Das gibt doch eine sinnvolle Kampagne her: Den reichen Griechen, die sich auch in Deutschland fett einkaufen, endlich die Konten einfrieren.
Da gibt es sicher wahnsinnig viele rechtliche Probleme, Schäuble ist dagegen, also auf in den Streit! Weil der konkret ist und unter anderem offenlegt, dass die Fronten nicht zwischen Griechen und Deutschen verlaufen. Und warum bei »Bild«-Chefredakteur Kai Diekmann nicht anfragen, ob er mitmacht – der liebt doch Griechenland- Kampagnen.