erschienen in „WOZ” am 08.12.2011

Die stellvertretende Vorsitzende der deutschen Partei Die Linke nimmt den Finanzkapitalismus auseinander und fordert echten Wettbewerb.

erschienen in „WOZ“ am 08.12.2011
Sahra Wagenknecht:
Freiheit statt Kapitalismus. Wie wir zu mehr Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit kommen.
Eichborn. Frankfurt am Main 2011

Wenn PolitikerInnen Bücher schreiben, ist der Anteil an taktisch-berechnendem Geschwätz nicht selten prägend. Gemessen daran ist das Buch von Sahra Wagenknecht – der führenden Politikerin der Partei Die Linke – kein PolitikerInnenbuch: In verständlicher Sprache erläutert und belegt sie mit hoher Kompetenz, welches Unheil der heutige Kapitalismus täglich anrichtet. Ihrer Analyse nach hat er die Phase des Mangels an Produktivität und Kreativität erreicht. Die Leistungsgesellschaft sei nur noch ein Mythos. Kaum mehr als ein Prozent der Bevölkerung kontrolliere die grossen Vermögen. Herkunft und nicht Leistung sei ausschlaggebend für den Lebensweg. Mit einer Fülle an Fakten, Daten und Analysen nimmt sie diesen Finanzkapitalismus auseinander. Eine Fleissarbeit als Abrechnung.

Zähneknirschendes Wohlwollen

Wenn wir also beschliessen, das sei gar kein PolitikerInnenbuch, weil es dafür zu überlegt und zu inhaltsreich sei, und damit den Massstab höher legen, wird die Bewertung allerdings auch ein bisschen kritischer: Die Autorin hat ihr Thema so gross gewählt, dass es ihr buchstäblich über den Kopf wächst. Wenn Wagenknecht – vor allem im letzten Drittel ihres Werkes – mit der Rentenpolitik abrechnet, die Strategien gegen die Schuldenkrise debattiert, die Politik der Privatisierung widerlegt, auf die Schnelle die wirtschaftspolitische Rolle der Staatsapparate in Frankreich, China, England, Italien, Österreich und Deutschland «durchnimmt», in zahllosen Kapitelchen von Eigentümerrechten über Entflechtung, Veräusserungsrechte und «Belegschaftseigentum als Realisierung des Haftungsprinzips» zu «Ota Siks Mitarbeitergesellschaft» hüpft, dann wird es ein bisschen arg unübersichtlich, oberflächlich und nähert sich einer PolitikerInnenrede – zehn Seiten, zehn Themen. Dafür beschäftigt sie sich mit den Themen «Demokratie» und «Freiheit» in ihrem dicklichen Buch so gut wie gar nicht, obwohl aus diesem Spannungsfeld – wohl eine Entscheidung der Marketingabteilung des Verlages – der Titel des Werkes entliehen worden ist. Dieses trotz seiner Schwächen empfehlenswerte Buch hat auch eine parteipolitisch-strategische Dimension. Denn Wagenknecht versucht in zweierlei Hinsicht, «Feindesland» zu besetzen. Zum einen baut sie sich systematisch – es ist ja nicht ihr erstes Buch zu Fragen der politischen Ökonomie – als einzige namhafte Wirtschaftspolitikerin der Partei Die Linke auf; abgesehen von Oskar Lafontaine. Inzwischen satisfaktionsfähig bis ins UnternehmerInnenlager hinein, zähneknirschend wohlwollende Buchrezensionen in den angesehenen Wirtschaftsblättern «Handelsblatt» und «Frankfurter Allgemeine Zeitung» inklusive. Damit ist sie zwangsläufig für ihre Partei unentbehrlich, konzentriert sich diese doch in schon fahrlässiger Weise allein auf den Markenkern soziale Gerechtigkeit und materielle Umverteilung und meidet die Sphäre der Produktion.

Wettbewerb statt Monopole

Und Wagenknecht besetzt zum anderen «Feindesland», indem sie mit diesem Buch die Perspektive des sogenannten wahren Marktwirtschaftlers einnimmt. Wagenknecht in Kürze: Die Erfinder der sozialen Marktwirtschaft (der Nationalökonom Walter Eucken, der Ordoliberale Alexander Rüstow, der Kölner Soziologe Alfred Müller-Armack, der Politiker Ludwig Erhard) wollten echten Wettbewerb statt Monopole, wollten einen geordneten Arbeitsmarkt mit Mindestlohn, wollten einen starken Staat, der den Mittelstand stützt. Heute herrsche das Gegenteil einer sozialen Marktwirtschaft: Die Geschäftsmodelle der meisten Banken und Grossunternehmen seien «produktivitäts-, innovations- und damit wohlstandsfeindlich». Nur leicht verkürzt lautet ihre Botschaft: Wer die richtige soziale Marktwirtschaft will, muss mit mir für meinen kreativen Sozialismus kämpfen. Wagenknecht lädt ein «zum Dialog zwischen echten, nämlich auch geistig liberalen Marktwirtschaftlern auf der einen und ebensolchen Sozialisten und Marxisten auf der anderen Seite». Wagenknecht arbeitet also an etwas, was im untergegangenen Westdeutschland der siebziger und achtziger Jahre die damals noch von der DDR gut durchfinanzierte Deutsche Kommunistische Partei als «antimonopolistisches Bündnis» propagierte. Aber allein deshalb muss das Vorhaben ja nicht schlecht sein.

Die Wochenzeitung