KOLUMNE – erschienen in „neues deutschland” am 07.11.2014

Kriselnde Blätter suchen einen neuen Weg im Wochen(end)-Geschäft. Es könnte eine Sackgasse sein, meint Wolfgang Storz

Es geht um das Schicksal der »Süddeutsche Zeitung« (echt verkaufte Auflage aus Abonnements und Kioskverkauf: 320 000 Exemplare), die in Deutschland als sozialliberales Gegengewicht zur großbürgerlich- konservativen »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (Auflage: knapp 248 000 Exemplare) gilt. Sie bietet am kommenden Samstag in der vierten Woche ihre Ausgabe als »Wochenendzeitung« an und versucht, diesen Zwitter als Erfolg zu verkaufen.

Es bedarf zweier Vorbemerkungen, um dieses Vorhaben zu verstehen. Die Medien, die sich als General- Interest-Medien täglich und wöchentlich um gesellschaftlich relevante Themen kümmern – und nur die –, geraten seit Jahren zunehmend in die Bredouille: Die Auflagen sinken, die Anzeigen schwinden. Von ihnen setzen nun viele auf das Wochenende. Das Argument, das 1960 galt und heute auch: Dann haben die Leute Zeit. Die Wochenmagazine »Spiegel« und »Focus« tanzten zuerst: Beide erscheinen bisher montags, auch mit dem (seit langem illusionären) Anspruch, so die Themen der Woche zu bestimmen. Von Anfang 2015 an wollen beide Magazine am Samstag erscheinen. Das Ziel: die seit Jahren sinkende Auflage wenigstens zu stabilisieren.

Die »Süddeutsche Zeitung« wollte eigentlich eine richtige Sonntagszeitung auf den Markt bringen, so wie vor vielen Jahren die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«; deren »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« gilt weithin als publizistischer Gewinn, der sich am Käufermarkt in echt verkauften 257 000 Exemplaren niederschlägt. Sie traute sich wirtschaftlich diesen Kraftakt dann doch nicht zu und will nun billig etwas Besonderes machen. So entstand die »Wochenendzeitung«. Dass Tageszeitungen ihre Samstagausgaben ausbauen, um ihren Lesern mehr Lesestoff zu bieten, das ist nichts Neues. Das machten sie schon immer – beispielsweise mit einem Reise- und Serviceteil. Und das machen sie auch heute: wie beispielsweise seit längerem die »taz« – die übrigens immer schwäbischer wird und sich neuerdings ein großes tolles Verlagshaus in Berlin baut –, die sich am Samstag »taz.am wochenende« nennt und irgendwie auch ein Wochenmagazin in sich birgt; das führte bisher am Wochenende zu erhöhten Verkäufen (58 000 Exemplare), änderte jedoch nichts daran, dass im dritten Quartal 2014 die tatsächlich verkaufte Auflage im Vergleich zum Vorjahr um über sechs Prozent auf gut 46 000 Exemplare sank.

Die »Süddeutsche Zeitung« will an Samstagen jedoch nicht nur dicker, sondern etwas Neues sein. Die Gefahr: Sie wird keiner der Erwartungen ihrer Kundschaft gerecht. Die Redaktionspioniere sehen sich auf diesem Weg vorwärts schreiten: »Am Wochenende werden wir in Zukunft eine Art Liebesheirat zwischen Tageszeitung und Wochenblatt eingehen. « Konkret: Auf der ersten Seite wird – jenseits der Aktualität – ein Titelthema angekündigt; die »digitale Diktatur« in China oder »Chefin per Gesetz« und eine allzeitaktuelle Analyse »Obama frustriert Amerika«. Die Meinungsseite ist verdoppelt. Es gibt ein neues »Buch 2«, beispielsweise mit einer dreiseitigen Reportage über »eine neue Generation von Dschihadisten« oder der Berufsquotendebatte. Es gibt die neuen Sektionen »Gesellschaft«, »Stil« und »Wissen«, es geht um den Ruf der Jogginghose und um »Meilensteine der Hirnforschung«, bevor die »SZ für Kinder« kommt. Das tagesaktuelle Nachrichtengeschäft wird unter den zahlreichen Kolumnen, Porträts und Reportagen begraben. Wer nach drei Ausgaben urteilt, der sieht vor allem eine Kraut-und-Rüben-Tagesund- Wochenzeitung.

Eindeutig ist nur: Die »Süddeutsche Zeitung« lässt seit drei Samstagen die Tageszeitung hinter sich. Eindeutig ist auch: Die Krise macht die Zeitungsmacher nicht nur wirr, sondern irre. Kurt Kister, Chefredakteur der »SZ«, schreibt: Seine »SZ« sei »glücklicherweise eine Samstags- Wochenend-Zeitung, die es am Montag schon wieder neu gibt«.

Seit immer mehr Konsumenten sich im Netz kostenlos über das Aktuelle informieren, bröckelt mindestens die Position der gedruckten Tageszeitung. Wenn nun alle in ihrer Not das Heil im Wochen(end)-Geschäft suchen, wird der angeblich neue Weg schnell zur Sackgasse. Aber vielleicht sind diese verkrampften Spielereien nur Fingerübungen, um sich auf die Zeiten vorzubereiten, in denen die Tageszeitungen nur noch drei Mal …, noch zwei Mal die Woche erscheinen. Ist das so schlimm?