erschienen in „WOZ” am 19.04.2012

Sie hatte Angela Merkel und die CDU gewählt und ist nun ziemlich frustriert. Für Publizistin Cora Stephan war die Enttäuschung ein Buch wert. Für unseren Rezensenten eher nicht.

Cora Stephan
Angela Merkel – ein Irrtum
Knaus-Verlag.
München 2011

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist noch immer die mit Abstand beliebteste Politikerin in Deutschland.
Auch deshalb beschäftigen sich viele mit ihr – darunter auch die Publizistin Cora Stephan, die einst für das linksautonome Frankfurter Stadtmagazin «Pflasterstrand» schrieb, dann als «Spiegel»-Redaktorin arbeitete und später in der FAZ, der NZZ oder in der Tageszeitung «Welt» publizierte.

Für Stephan muss Merkel einmal eine Hoffnungsträgerin gewesen sein, denn jetzt ist Stephans Enttäuschung grenzenlos. Jedenfalls wiederholt sie in ihrem «schonungslosen Essay», wie es in der Verlagswerbung heisst, ermüdend oft, wie total wirklich richtig echt enttäuscht sie sei. Als LeserIn kann man genauso total echt enttäuscht sein – allerdings von der Autorin.

So sehr sich Stephan in «ihrem brillant geschriebenen und in seiner Stringenz beeindruckenden Buch» (so das Wochenmagazin «Stern») auch über viele Seiten an Angela Merkel abarbeitet: Eigentlich hat die Autorin gar kein Buch über die Politikerin geschrieben. Sondern Plattitüden versammelt: Stillstand statt Aufbruch, Deutschlands Mutti, Machterhalt ist alles, den Mythen der sozialen Wärme erlegen, «stumpfe Murmel» statt «funkensprühender Rohdiamant» und so weiter. Zur «Staatsratsvorsitzenden» (statt «Freiheitskämpferin») ist Merkel für Stephan geworden, weil diese das Buch von Thilo Sarrazin («Deutschland schafft sich ab»), ohne es zu lesen – wie Stephan moniert –, als «überhaupt nicht hilfreich» bezeichnet hatte.

Lieber Bomben als Wärmedämmung

Jede Plattitüde wird geschätzt, jede Differenzierung sorgsam gemieden. Meine Lieblingsplattitüde: Die «Burka für das Haus» – damit schlägt Stephan diesen IslamfreundInnen eine aufs Haupt und zugleich diesen KlimafanatikerInnen, die mit Hausdämmungen das Bild unserer Städte noch schlimmer verändern als «Bombenkrieg und Nachkriegsarchitektur». Und das alles mit wenigen Worten. Hoch effizient.

Cora Stephan hat ein Manifest geschrieben, in dem Bundeskanzlerin Merkel stellvertretend für die gesamte herrschende politische Kaste mit den Ansprüchen und Forderungen einer «intelligenten Mitte» konfrontiert wird – und dabei natürlich gnadenlos durchfällt.

Aber wer genau ist nun diese Mitte, als deren Sprecherin Cora Stephan sich in ihrem Buch geriert? Das sind im engeren Sinn die «gut ausgebildeten, weltläufigen, unideologischen, ungebundenen Produktiven» und dann im weiteren Sinn «die deutschen Steuersklaven», die in diesem Land ausgebeutet, beschimpft und von der Politik verlassen werden. Griechenland ist für diese Schichten laut Stephan überall: «Die Produktiven zahlen für jene, die jahrelang auf Pump gelebt haben.» Innerhalb Deutschlands sind das die Hartz-IV- EmpfängerInnen, innerhalb der EU die SüdländerInnen.

 Nur eine faule Ausrede

Im Gegensatz zu grossen Teilen der Wirtschafts- und vor allem Finanzeliten, die sich vollständig vom Grundgedanken des demokratischen Wohlfahrtsstaats verabschiedet haben, sind die kulturell geprägten wohlhabenden Mittel- und Oberschichten, als deren Repräsentantin Stephan sich aufspielt, noch zu gewinnen für Gedanken von Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Wohlfahrtsstaat. Aber: Sie wollen einen Sinn erkennen in dem, was der Staat tut, wollen begründet bekommen, warum er wie viel für was ausgibt. Sagt Stephan. Da hat sie uneingeschränkt recht.

Vielleicht sind solche Argumente aber auch nur eine faule Ausrede jener Schichten, um ihre Haltung staatstragend begründen zu können – und weiter von den Zuschauerrängen mit viel Herablassung über Parteien, Staat und vor allem Wohlfahrtsstaat urteilen zu können und notfalls mit allen Tricks zu versuchen, vom eigenen Wohlstand nichts abgeben zu müssen.

Die Wochenzeitung